Klassik underground: Interview mit Tahlia Petrosian

Wir stellen Bratschistin & Klassik underground Initiatorin Tahlia Petrosian vor

Leipzig ist Musikstadt! Wir haben die Distillery – den ältesten Technoclub Ostdeutschlands – wir haben den Thomanerchor, das Gewandhaus und eine lebendige Band- und Konzertszene. Doch seien wir mal ehrlich: wer von uns nutzt das volle Spektrum, das diese Stadt uns musikalisch offeriert? Die meisten von uns gehen in Clubs tanzen, stehen regelmäßig bei Konzerten im Täubchenthal im Publikum oder lauschen Jazzband im Telegraph.

Dabei hat Leipzig gerade im Bereich Klassik so viel zu bieten! Doch wenn überhaupt, dann gehen wir zur Audio Invasion ins Gewandhaus und nicht zu einem der regulären Konzerte. Zu teuere Tickets, zu altes Publikum, zu wenig Action, zu langweilig zwei Stunden einfach nur dazusitzen und klassischer Musik zuzuhören. Das alles stimmt natürlich nur bedingt, dennoch können wir die Argumente nicht ganz zurückweisen und erwischen uns selbst, wie wir uns dann doch eher für eine andere Abendgestaltung entscheiden.

Genau dieses Problem hat Tahlia Petrosian, Star-Bratschistin des Leipziger Gewandhausorchesters erkannt und wollte dringed etwas dagegen unternehmen. Denn wenn klassische Musik eins nicht ist, dann langweilig! Nur der Rahmen, in dem die Musik präsentiert wird, könnte manchmal eben einen Zacken moderner und lockerer sein. Zum Glück ist Tahlia ein Mensch, der anpackt, sobald ihr eine Idee nicht mehr aus dem Kopf gehen möchte (so hat es sie schon von der Arbeit als Anwältin in Australien zum Musikstudium nach Deutschland verschlagen) und so wurde ihr Projekt Klassik underground geboren.

Wir durften Tahlia kennenlernen und haben einen Nachmittag lang mit ihr bei uns im Westwerk über ihr ambitioniertes Projekt gesprochen. Tahlia ist – verzeiht den Ausdruck – wirklich eine richtig coole Socke, von der man eher erwarten würde, dass sie in einer coolen Band am Bass steht als in einem der renommiertesten Orchester der Welt Bratsche zu spielen. Doch genau dieser Kontrast ist das Besondere an der begabten Musikerin, die Beyoncé liebt und es sich zur Aufgabe gemacht hat, Klassik ein moderneres Image zu verpassen. Viel Vergnügen mit unserem Interview und schaut unbedingt am 10. Dezember zum nächsten Klassik underground in der Moritzbastei vorbei.

Tahlia Petrosian Klassik underground

Tahlia, bitte stelle Dich selbst kurz vor für alle, die Dich nicht kennen.

Ich bin Bratschistin im Gewandhausorchester und komme eigentlich aus Australien. Bei mir ist alles ein bißchen anders gelaufen als bei vielen: In Australien habe ich Jura studiert und sogar noch als Rechtsanwältin gearbeitet. Erst später bin ich meiner Leidenschaft gefolgt, um in Berlin ein Musikstudium anzufangen. Ich habe in Orchestern in Belgien und London gespielt ­und bin seit 2012 nun in Leipzig.

„Es ist zwar noch Klassik, aber aus einer anderen Perspektive.“

Was genau ist Klassik underground?

Klassik underground ist eine Konzert-Reihe, von der wir in einer Saison vier bis sechs Veranstaltungen präsentieren. Quasi Klassik in kleinen Portionen. Wir haben Gastsolisten, die erst im Gewandhaus spielen und anschließend rüber in die Moritzbastei kommen und zusammen mit Gewandhausmusikern ein Aftershowkonzert spielen. Dann ist die Bar offen und die Atmosphäre ganz anders. Aber die Qualität bleibt wie im Gewandhaus. Manchmal kombinieren wir die Veranstaltungen auch mit Tanz, Videokunst oder Filmen. Es ist zwar noch Klassik, aber es ist anders präsentiert – eine andere Perspektive.

Wie entstand die Idee für die Klassik underground Reihe?

Bei unseren großen Konzerten im Gewandhaus habe ich gemerkt, dass unser Publikum sehr alt ist. Leipzig ist aber eine Stadt mit vielen jungen Leuten. Für die ist es allerdings komisch ins Gewandhaus zum Konzert zu gehen. Unser Publikum finde ich manchmal selbst sehr steif. Deswegen habe ich dieses Konzept entwickelt, mit dem wir ein neues Publikum erreichen können. Wir verlassen unser Haus und gehen in der Moritzbastei auf das Publikum zu.

Darf man sich als Publikum auch ein Stück etwas wünschen?

Bis jetzt haben wir das nicht gemacht. Das Programm wird vorher mit dem Gast abgesprochen und steht eigentlich schon, bevor der Künstler nach Leipzig kommt. An sich ist das Programm aber auf jeden Fall sehr flexibel. Deshalb könnte ich mir schon vorstellen, dass sich Personen aus dem Publikum theoretisch etwas wünschen könnten.

This is KLASSIK underground!

Hast Du vor, das Konzept auch in andere Städte zu bringen?

Im November hatten wir eine Veranstaltung im SuperDeluxe Club in Tokio mit Musikern des Gewandhausorchesters, vom Boston Symphony Orchestra und einem Alive Painting Act aus Tokio. Die Veranstaltung war ein Riesenerfolg und komplett ausverkauft mit einer Warteschlange vor der Eingangstür. Am nächsten Tag war Klassik Underground sogar im Schwerpunkt-Artikel in The Japan Times. Im nächsten Jahr haben wir wahrscheinlich Veranstaltungen in Berlin und vielleicht auch noch in weiteren Städten.

„Das ist nicht nur Klassik. Das ist Klassik auf höchstem Niveau.“

Welche Vorteile siehst Du in den Klassik underground Konzerten gegenüber den großen Konzerten im Gewandhaus?

Die Länge der Konzerte ist einfach ideal. Die großen Konzerte, die wir im Gewandhaus spielen, dauern bestimmt zwei Stunden und das ist für viele Leute einfach zu lang. Natürlich haben wir dann ein großes Publikum und die großen Konzerte sind etwas Besonderes, aber wir müssen auch etwas Anderes anbieten als Zugang für junge Menschen. Ich glaube, heutzutage haben Menschen allgemein nicht so viel Zeit. Sie wollen sich gleichzeitig mit Freunden treffen, einen Wein trinken und etwas Klassik hören. Alles auf einmal – und das ist genau das, was wir anbieten. Außerdem bietet die Zusammenarbeit mit dem Gewandhaus den Vorteil, dass wir Kontakt zu den größten Solisten der Welt haben. Das ist nicht nur Klassik. Das ist Klassik auf höchstem Niveau. Diese Solisten spielen mit den besten Orchestern der Welt. Und das ist eben auch ein Unterschied zwischen Klassik underground und anderen Reihen in Clubs.

Tahlia Petrosian Klassik Underground

Wie kommt Klassik underground bei Deinen Kollegen an?

Klassik underground wäre nicht möglich ohne die Unterstützung von vielen Kollegen aus dem Gewandhaus, die dort mitspielen. Aber es ist auch ein Format, bei dem alle gewinnen. Wir haben auch viele junge, internationale Mitglieder des Gewandhausorchesters, die gerne mit diesen Gastsolisten spielen wollen oder sie wollen ein interessantes Projekt präsentieren. Für die Solisten ist es auch interessant, weil sie mehr Kontakt mit den Musikern im Orchester haben. Die Moritzbastei bekommt eine Klassik-Reihe und das Leipziger Publikum die Chance, diese tollen Konzerte zu erleben. Für alle Beteiligten ist da etwas dabei! Aber es ist schon klar, dass es ohne die Unterstützung der Kollegen aus dem Gewandhaus nicht möglich wäre.

„Wenn man Bach übt und dabei die Sonne scheint und alle Menschen am Strand sind, dann ist das eine total andere Welt.“

Eine persönliche Frage: Wie kommt man vom Jurastudium bzw. der Arbeit als Anwältin in Australien zu einem Musikstudium in Berlin?

In Australien haben wir keine große Tradition von Klassik. Wenn man Bach übt und dabei die Sonne scheint und alle Leute am Strand sitzen, dann ist das eine total andere Welt. Mit drei Jahren habe ich angefangen Geige zu spielen, wollte aber gar nicht unbedingt im Orchester spielen. Deshalb habe ich Jura studiert und als Anwältin in Australien gearbeitet. Die Musik hat mich aber nie ganz losgelassen. Später wollte ich gern nach Deutschland, denn hier gibt es eine große Klassik-Tradition und die besten Orchester der Welt. Ohne da gewesen zu sein, ist es einfach schwierig zu verstehen, welchen Sinn die Musik macht oder woher Klassik kommt. Das ist eine völlig andere und fremde Sprache! Deswegen bin ich nach Berlin gegangen und habe einfach die Aufnahmeprüfung mitgemacht. Ich habe einen Platz bekommen und mit meinem Bratsche-Studium begonnen. Seitdem hat sich alles gefügt.

tahlia_petrosian_klassik_underground_leipzig

Wo ist Dein Lieblingsort in Leipzig zum Entspannen und Runterkommen?

Im Clara-Zetkin-Park, weil ich dort direkt um die Ecke wohne. Wenn man direkt in den Park geht, ist es sehr ruhig und man hat gar nicht mehr den Eindruck, in einer Stadt zu sein. Das ist ein sehr schöner Ort in Leipzig.

Wie würdest Du Dich selbst beschreiben?

Driven. Wenn ich etwas anfange, dann möchte ich das auch so gut wie möglich umsetzen. So ein Konzept wie Klassik underground braucht eine Menge Energie. Aber man wächst an seinen Aufgaben. Das war auch für mich sehr interessant zu sehen, welche Persönlichkeit ich eigentlich habe. Bei so einem Projekt sieht man das schon. Ich bin außerdem sehr streng – auch mit mir selbst. Ich erwarte, dass bei der Planung alles richtiggemacht wird.

„Ich bin ein großer Fan von Beyoncé.“

Welche Musik hörst Du privat am Liebsten?

Ich bin ein großer Fan von Popmusik: Beyoncé, Queen und verschiedene andere Bands. Klassik ist mir eigentlich zu konservativ. Ich finde die Idee von Beyoncé, dass sie Lemonade als Visual Album präsentiert hat mega geil. Die Leute aus der Klassikbranche sagen aber, das können wir nicht machen – das ist Beyoncé. Aber ich könnte mir vorstellen, dass so etwas auch für Klassikkünstler funktionieren könnte. Wieso nicht? Ich finde Streaming auch sehr interessant. Zum Beispiel Spotify Title. Das müssen wir auch in der Klassik machen. Oder auch Netflix. Es wäre zum Beispiel auch möglich, dass Netflix einen Klassik Kanal haben könnte. Klassik ist leider immer etwas abgetrennt vom Mainstream und das sollte nicht sein.

Vielen Dank für das spannende Interview, Tahlia! Wir sehen uns beim nächsten Klassik underground Konzert in der Moritzbastei.

[kiss_box color=“yellow“ headline=“Alle Infos auf einen Blick:“]

Was? Klassik underground trifft Julius Fischer

Wann? Sonntag, 10. Dezember 2017, 18 – 19.30 Uhr

Wo? Moritzbastei, Universitätsstraße 9, 04109 Leipzig

Wie? Tickets gibt es für 11,00€ z.B. hier im VVK.
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Pssst: mehr Local Heroes haben wir hier auf dem Blog und auf Pinterest für Euch!

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